Haras de la Cour / Moyon, Montag, 3. Februar 2025. Auf dem Haras de la Cour im 1.000-Seelen-Nest Moyon in der Normandie ist am Montag Jag de Bellouet im Alter von 28 Jahren eingeschläfert worden. Das teilte Emmanuelle Couetil, die das Gestüt gemeinsam mit Jean-François betreibt hat, der Internet-Seite 24H au Trot in einem längeren Gespräch mit.
„Heute morgen ging es Jag plötzlich schlecht. Die Analyse seiner Blutwerte ergab so schlechte Ergebnisse, dass die Ärzte uns rieten, ihn einzuschläfern, damit er nicht leiden müsse. Er war seit zwanzig Jahren in unserem Gestüt - seine erste volle Decksaison war 2004. Nach dem Ende seiner Deckhengst-Karriere ist er bei uns geblieben. Zwanzig Jahre ein Pferd an der Seite - das prägt und schweißt zusammen, unabhängig von seinen Erfolgen. Als wir ihn vor zwei Jahren in Vincennes während der Parade der Champions am Tag des Prix d’Amérique vorstellten, ging es ihm körperlich gut, doch im letzten Jahr ist er stark gealtert."
"Wir haben einen langen, gemeinsamen Weg zurückgelegt. Eine Seite blättert sich um. Der Umgang mit ihm war einfach, obwohl er eine starke Persönlichkeit war. Es gibt so viele tolle Erinnerungen, die natürlich mit seiner Rennkarriere, aber auch mit der Zeit im Gestüt verbunden sind, dass es mir schwer fällt, etwas hervorzuheben. Wir haben außergewöhnliche Dinge erlebt. Ein solches Pferd prägt ein Leben. Und ich denke, er hat viele Leben geprägt, all derer, die ihn gut kannten wie sein Tierarzt Alain Beaumont", der, 2020 verstorben, unter anderem Cleangame mit einer Tochter Jag de Bellouets gezüchtet hat.
„Le Cannibale“ - der Spitzname spricht für sich. Die „turfists“, wozu auch Journalisten zählen, vergeben einen solchen „Ehrentitel“ nur an die ganz Großen: Bellino II war „die Dampfwalze“, Ourasi der „faule König“, Bélina Josselyn die „Ballerina“. Jag de Bellouet trug seinen Titel zu Recht. Er war kein spritziger Typ, mit dem man gewagte taktische Spielchen inszenierten konnte, sondern das, was man in Frankreich einen „rouleur“ nennt: Einen, der seine Gegner mit unbändiger Kraft, mit seinem enorm großen „Motor“, den in seiner Ära der 2000er Jahre kein Zweiter hatte, zermalmte, bis sie nicht mehr konnten.
Er war der letzte Traber, der im gleichen Jahr - 2005 - Prix de Cornulier und Prix d´Amérique gewann. Im Prix de Cornulier, dem wertvollsten Trabreiten der Welt, gelang ihm von 2004 bis 2006 jeweils mit dem damals aufstrebenden Matthieu Abrivard ein Hattrick, wobei er den Rennrekord in jedem Jahr von 1:14,5 über 1:13,9 auf 1:13,6 verbesserte. Am Ende seiner monströsen, 110 Starts umfassenden Laufbahn, die er Anfang 2007 mit einem fünften Rang im „Cornulier“ und einer roten Karte im „Amérique“ beschloss, standen 35 Siege, davon zwölf auf höchstem Niveau der Gruppe I, 4.223.699 Euro und ein im Prix de Washington zu Enghien erzielter 1:09,9-Rekord zu Buche.
Als Jährling in Deauville versteigert, gelangte der stets vom 1975 geborenen Christophe Gallier trainierte Viking’s-Way-Sprössling - Besitzer war dessen Vater Michel Gallier - erst sechsjährig zu höchster Blüte. „In diesem Alter hat er erst wirklich zu sich gefunden“, beschreibt ihn sein Trainer, der ebenfalls von 24 h au Trot interviewt wurde, „es ist ein Weilchen her, seit ich ihn gesehen habe. Sein Gesundheitszustand begann sich zu verschlechtern, und ich wollte ihn in guter Erinnerung behalten. Er bleibt das Pferd meines Lebens. Jeder möchte eines Tages auf so einen Crack stoßen."
"Erstmals gestartet hab ich ihn vor ziemlich genau 25 Jahren am 3. Januar. Franck Nivard hat ihn in Vincennes ebenso gesteuert wie eine Woche später; beide Male wurde er disqualifiziert, dann folgte am 17. Januar der erste Sieg. Später hat er so viele großartige Events gewonnen. Bei der Fülle ist es schwer, einen Sieg herauszuheben, doch jener im Prix Rene Ballière im Jahr 2005 war sicherlich seine beste sportliche Leistung. Er hat die ganzen 2.100 Meter in dritter Spur zurückgelegt und gewann in 1:10,1 eine Länge vor Love You und Jeanbat du Vivier."
"Man musste stets bis zum Pfosten wachsam sein, denn er war ziemlich anfällig für Fehler. Obwohl er seine größten Meriten in Vincennes gesammelt hat, tat er sich leichter über kurze Distanzen und auf ebenen Pisten. Bergauf fühlte er sich nicht sehr wohl. Enghien war seine Lieblingsbahn, wie auch seine drei Erfolge im Prix de l'Atlantique beweisen. Es war das Erlebnis meines Sportlerlebens, ihn trainieren und fahren zu dürfen, und ich danke all jenen, die ihn während seiner gesamten sportlichen Karriere und später im Gestüt begleitet haben", so Gallier, der nur noch selten in den Sulky steigt und nur wenige Pferde trainiert.
Wo so strahlend helles Licht leuchtet, gab es für einen derartigen Champion ungewöhnlich starken Schatten: 2006 passierte er den Zielpfosten im Prix d’Amérique ein zweites Mal als Erster - und wurde vier Wochen später wegen eines positiven Dopingbefunds disqualifiziert, womit Stefan Melanders Gigant Neo mit Dominik Locqueneux zum Sieger erklärt wurde. Vier Monate später gab’s den nächsten Skandal: Zwei Längen voraus zerlegte der Kannibale in sagenhaften 1:09,4 die Rivalen in Solvallas Elitloppet.
Wer dabei war, wird nie vergessen, wie der begeistert mitgehende Rennkommentator 100 Meter vorm Ziel die Marseillaise anstimmte. Erneut folgte die Ernüchterung 3½ Wochen später als GAU des Trabrennsports: Wieder war Jag de Bellouet gedopt, und weil auch der Zweite, der von Holger Ehlert trainierte deutsche Derby-Sieger Lets Go, den Dopingfahndern ins Netz ging, fiel der Elitloppet-Sieg an Conny Nobell.
Natürlich gab‘s auch ein Statement von Matthieu Abrivard: „Ich war gerade 18 Jahre alt, als ich ihn 2004 das erste Mal im ‚Cornulier‘ reiten durfte. Jag hat den Grundstein zu meiner Profi-Karriere gelegt! Er war in der Lage, über alle Distanzen sehr Beeindruckendes zu vollbringen. Er war eine überaus intelligente Maschine, konnte ein Rennen lesen und schreiben, tat aber oft nicht mehr als unbedingt nötig."
"Christophe hat mich immer wieder ermahnt, ihn bis zum Ende eines Rennens zu unterstützen. Sein letzter Sieg im Cornulier wird mir in bester Erinnerung bleiben, weil wir nach mäßigen Vor-Leistungen nicht favorisiert waren und er zum Schluss geflogen ist. Seine Siege im Fahren waren sehr beeindruckend, sein Duell mit Késaco Phédo im Prix de l'Atlantique grandios."
Besitzer Michel Gallier reagierte schockiert auf die Nachricht vom Tod des „Kannibalen“: „Obwohl er 28 Jahre alt war, ist es schwer zu glauben, dass er nicht mehr da ist. Ich bin tief berührt. Wir konnten ihn nicht leiden lassen. Jag war ein Pferd mit außergewöhnlichem Verstand. Viele seiner Nachkommen waren wie er: Erstens waren sie nicht frühreif, zweitens musste man sie verstehen. Vielen ist das nicht gelungen. Mir schon - bei Opus Viervil, Vittel de Brévol und Granvillaise Bleue, um nur die Besten herauszuheben.“