Solvalla, Sonntag, 29. Mai 2022. Wer nach Jahrzehnten im Trabrennsport geglaubt hat, schon alles erlebt zu haben, dem wurde in der 71. Auflage der inoffiziellen Sprinter-WM vor offiziell 19.591 Zuschauern ein neues Kapitel der unendlichen Geschichte geschrieben.
Selbst Berufs-Optimist Richard Westerink, dessen Timoko 2014 und 2017 mit Björn Goop für ihn das prestigeträchtigste Rennen Skandinaviens gewonnen hatte und der über Etonnants Startplatz „7“ im Vorlauf hatte verlauten lassen, das solle für den kein Problem sein, hatte keinen Pfifferling mehr für seinen Schützling gegeben, als der im Finale - wiederum mit der „7“ - in der vorletzten Kurve als äußeres Schlusslicht unvermittelt aus dem Strich kam.
Die sieben Sprünge kosteten den Achtjährigen als Zweiten in Spur drei fast keine Position, aber immerhin 30 Meter, was in dem nach Don Fanucci Zets unerklärlichem Startaussetzer völlig offenen Match eigentlich nicht mehr wettzumachen ist.
„Eigentlich“ - es sei denn, man heißt Etonnant. „Dieser Typ ist von einer unglaublichen Härte und Stärke. Schon sein Vater Timoko war ein eisenharter Typ und eine echte Rennmaschine. Etonnant übertrifft ihn meiner Meinung nach in dieser Hinsicht, aber er ist viel, viel komplizierter, wie man nicht erst heute gesehen hat.“
Und der 43-jährige Niederländer, der seit rund eineinhalb Jahrzehnten in Frankreichs Südwesten ansässig ist und sich dort auf die Ochsentour durchgebissen hat, weiter: „Ich bin unglaublich stolz, dass es einem Nachkommen meines Timoko gelungen ist. Dank an das fantastische Publikum, das uns alle großartig unterstützt hat. Solvalla ist die beste Trabrennbahn der Welt.“
Wie dieser Etonnant nach seinem urplötzlichen Aussetzer weit außen den mit dem Sieg liebäugelnden Hail Mary, Redéns zweite Final-Chance und nach des Dons schwerem Patzer der erklärte Hoffnungsträger der rennsportverrückten Schweden, fliegend auffraß, war das üppige Eintrittsgeld wert.
Der Rennverlauf
Bewusst hatte Örjan Kihlström, der als Erster wählen durfte, für Don Fanucci Zet Startplatz „1“ ausgesucht - und dann das: Der 19:10-Favorit klebte am Auto, fiel an der Startmarke in Galopp und war damit schon „out“. Die Gunst der Sekunde nutzte Ulf Ohlsson und rauschte mit Click Bait (3) an Mister F Daag (2) vorbei ans Regiepult, indes sich Önas Prince (5) diesmal dezent zurückhielt und Hail Mary den Vortritt als äußerer Anführer ließ.
Hinter Per Nordströms Chocolatier-Sohn reihten sich Vivid Wise As (6) und Etonnant (7) auf, während Night Brodde sofort zurückgenommen und als inneres Schlusslicht untergebracht wurde. Vor Publikum machte sich Vivid Wise As mit Etonnant im Schlepptau in dritter Spur auf den Weg nach vorn und übernahm von Hail Mary in der zweiten Kurve den Todessitz.
Ohne Führungsoffizier genehmigte sich Etonnant aus heiler Haut den erwähnten, sieben Sprünge umfassenden Fehler, der ihn vor allem in seinem Vorwärtsdrang stoppte. 300 Meter weiter war er wieder dran am Feld und klemmte sich an Önas Prince, als der sich für die letzte Biege in die dritte Spur begab.
Zu Beginn des Einlaufs überschlugen sich die Ereignisse: Fast gleichzeitig vergaloppierten außen und innen Önas Prince und Night Brodde alle Chancen auf einen Scheck aus dem üppig gefüllten Pott. Durch Önas Prince‘ Ausfall sprang die Ampel für Hail Mary auf Grün, der sich Vivid Wise As umgehend zur Brust nahm und solange mit dem Sieg und der Satisfaktion für seinen am Start gestolperten Trainingspartner liebäugeln konnte, bis Etonnant den Turbo einlegte.
Wie auf Flügeln segelte der Franzose ganz außen heran und vorbei, und hatte tags zuvor Gabriele Gelormini nach dem Triumph im Harper Hanovers Lopp das rechte Bein in die Luft gereckt, so konnte es Anthony Barrier, der beim ersten Solvalla-Besuch gleich ein Meisterstück ablieferte, sogar noch ein Stück höher.
Und wenn das Duo Robin Bakker/Paul Hagoort mit Mister F Daags drittem Platz und 1.250.000 Kronen (ca. 119.000 Euro) mehr als zufrieden sein konnten, so werden sie doch ein klitzekleines bisschen gehadert haben. Hinter den müden Click Bait und Vivid Wise As musste Bakker lange nach einem Ausweg suchen. Wie sich der Braune dann in die Bresche warf und Hail Mary um den Ehrenplatz noch schwer in die Bredouille brachte, ließ die deutschen, belgischen und holländischen Anhänger schier aus dem Häuschen geraten.
Nach 1:09,1 im Vorlauf blieb Deutschlands Derby-Sieger 2018 mit 1:09,5 ein zweites Mal unter der alten deutschen Bestmarke von Classic Grand Cup und Hidalgo Heldia - besser geht’s nicht.
Die Blumen gebührten allerdings allein der konsternierten Equipe um Richard Westerink, dessen erstaunlicher Etonnant nach unmöglichem Verlauf und einem Kurzaussetzer mit 1:09,3 der fünftschnellste Elitloppet-Sieger in der 70-jährigen Historie wurde. Für ein Novum sorgte der bei 10,2-fachen Sieg-Odds gehandelte Hengst außerdem: Sein Vater Timoko ist der Erste, der einen Nachkommen in die 1952 von Permit eröffnete Ehrenliste bringen konnte.
Dass dieser Etonnant zumindest im Rennen kein pflegeleichter Typ ist, hat er insbesondere zu Beginn seiner Laufbahn ausgiebig bewiesen: Die begann im Frühjahr 2017 mit einer gepflegten Sieg-Triplette über die Dörfer von Bordeaux, Agen-La Garenne und Salon-de-Provence, doch danach war viel zu oft Galopp-Sand ins Trab-Getriebe. Insgesamt 18 rote Karten verzeichnet sein Fahrtenbuch bei nunmehr 77 Starts, 16 davon bis Juli 2020.
Er trieb seinen Ausbilder damit wieder und wieder zur Verzweiflung - so sehr, dass er ihn unterm Sattel ausprobierte. Auch in dieser Disziplin konnte er bei mehr als 20 Versuchen, die ihm sogar einen Gruppe-II-Treffer bescherten, seine Flausen nicht lassen.
Sieg Nummer 18, ohne Eisen zustande gekommen, die man ihm nach dem Vorlauf abgenommen hatte, war nach dem Prix de Paris 2021 und dem Grand Critérium de Vitesse vor 2½ Monaten der dritte der höchsten Kategorie I - und mit satten fünf Millionen Kronen der bestbezahlte obendrein.
19.009.097 Kronen oder rund 1,86 Millionen Euro zieren nun Etonnants Konto, der mit Auch (von Niky, 406.930 Euro) und Douloureuse (von Timoko, 224.676 Euro) zwei in Frankreich nicht ganz unbekannte Geschwister hat. Seine Mutter Migraine hat ihren Besitzern bei zwölf Siegen aus 33 Versuchen und Gewinnen von 432.855 Euro eher wenig Kopfschmerzen bereitet.
Nicht ganz zufrieden war Catchdriver Erik Adielsson: „Nichts, überhaupt nichts gegen Hail Mary, der wirklich zauberhaft und auf den Punkt topfit vorbereitet war. Er hat bewiesen, was für ein grandioser Typ er ist, und kann durchaus an sein großes Jahr 2020 anknüpfen, als er Don Fanucci Zet im Derby nicht den Hauch einer Chance gelassen hat. Natürlich hört es sich nicht gut an, wenn man über einen zweiten Platz in unserem bedeutendsten Rennen murrt. Aber das war es nicht, was mich heute interessiert hat."
"Ich denke, ich war in all den Jahren noch nie so dicht dran, dieses Rennen zu gewinnen und mir den Traum aller skandinavischen Rennfahrer zu erfüllen“, grummelte der Stockholmer. Mehr Grund zum Hadern hatte Matthieu Abrivard, der wegen falschen Peitschengebrauchs 50.000 Kronen (4.750 Euro) löhnen und drei Tage „zu Fuß gehen“ muss.
71. Elitloppet (Gruppe I int., ab vierjährig; UET-Masters-Serie, Grand Slam)
1609m Autostart, 10.150.000 SEK
1. Etonnant 09,3g Anthony Barrier 102
8j.br. Hengst von Timoko a.d. Migraine von Alligator
Be / Tr: Richard Westerink, FR/NL; Zü: Christian Guy Vigier & Mireille Baro, FR
Pfleger: Radolphe Barette
2. Hail Mary 09,4 Erik Adielsson 63
3. Mister F Daag 09,5 Robin Bakker 118
4. Vivid Wise As 09,7 Matthieu Abrivard 72
5. Click Bait 10,0 Ulf Ohlsson 100
Don Fanucci Zet agh. Örjan Kihlström 19
Önas Prince dis.r. Per Nordström 186
Night Brodde dis.r. Conrad Lugauer 423
Sieg: 102; Richter: leicht 1 - ½ - 2½ - 2 Längen; 8 liefen
Zw-Zeiten: 06,6/500m - 08,0/1000m - 11,7/letzte 500m
Wert: 5.000.000 - 2.500.000 - 1.250.000 - 625.000 - 325.000 - 200.000 - 150.000 - 100.000 SEK
Video: https://www.youtube.com/watch?v=C5dnMcDQ6go
1. Vorlauf: Glatte Sache für den Titelverteidiger
In Vorlauf 1 hatte Per Nordströms erster Elitloppet-Starter Önas Prince mit der „1“ alle Vorteile auf seiner Seite. Ein bisschen mehr als vielleicht erhofft musste der stichelhaarige Braune allerdings doch investieren, um den von der „4“ alles auf eine Karte setzenden Kanadier Perfetto in Schach zu halten, der nach 350 Metern die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens einsah, selbst an die Spitze oder wenigsten in den Windschatten des Prinzen zu kommen - den hatte sich mit der „5“ Click Bait vor dem hitzigen Brother Bill gesichert -, und dann ein wenig Druck aus dem äußeren Kessel nahm.
Das war das unmissverständliche Signal für Örjan Kihlström, den von der „8“ viel zügiger als Cokstile (3), den noch rundum beschlagenen Etonnant (7) und Vernissage Grif (6) in Gang gekommenen Don Fanucci Zet auf Eroberungstour zu schicken. Für die Schlussrunde parkte er neben dem favorisierten Prinzen, 300 Meter weiter wagte sich Etonant mit Vernissage Grif und Cokstile als Anhängsel in Spur drei und musste für den Rest der Strecke dort bleiben.
An der letzten Ecke war Kihlström des Sieges sicher. Mit Augenmaß und zwei, drei zarten Antickern stach er Önas Prince um eine Länge aus, an dem sich auch Click Bait vorbeiraufte. Trotz des enormen Pensums hielt sich Etonnant wacker und holte sich die vierte Endlaufkarte eine Länge vor Perfetto, der besser als von Vielen erwartet abschnitt und sich keinesfalls als das befürchtete exotische Kanonenfutter präsentierte.
2. Vorlauf: Mister F Daag verblüfft den Trainer
Mit geringen Hoffnungen war Paul Hagoort nach Solvalla gereist: „In erster Linie ist es eine Ehre, zum Elitloppet eingeladen zu werden. Das konnten wir nicht ausschlagen. Startplatz ‚6‘ ist natürlich ‘ne Katastrophe. Er fängt ordentlich an, aber für diese Klasse längst nicht gut genug, um irgendwie ins Vordertreffen zu kommen. Mister F Daag ist perfekt drauf, Robin wird ihn wie in Kopenhagen vortragen, und dann müssen wir hoffen, dass es unterwegs nicht zu verbummelt zugeht. Vielleicht haben wir Glück und ergattern einen Finalplatz“, hatte der Trainer aus Oldetrijne vor dem Heat zu Vorlauf 2 verlauten lassen.
Er sollte sich gründlich irren, obwohl „mir Mister F Daag beim Aufwärmen überhaupt nicht gefallen hat. Da wollt ich schon nach Hause fahren.“ Im Rennen lief es wie von ihm vorhergesagt: Night Brodde schmetterte von der „5“ mit Urgewalt vor Snowstorm Hanover (1) und Admiral As (2) nach vorn und blieb dort auch, als ihm Who’s Who, den „Ersatzmann“ Åke Svanstedt behutsam durch die gefürchtete erste Kurve trug, auf den Leib zu rücken begann.
Dahinter hatte Favorit Hail Mary (4) vor Mister F Daag und Vivid Wise As (7), mit dem Matthieu Abrivard aufs letzte Drittel baute, eine exquisite Ausgangslage, die er 650 Meter vorm Ziel verließ. Im Schlussbogen legten Who’s Who und Snowstorm Hanover den Rückwärtsgang ein, und an der letzten Ecke war der Weg zum Sieg für Hail Mary weit offen. Die Rechnung hatte Schwedens Derby-Sieger von 2020 jedoch ohne Mister F Daag gemacht.
Wie gut der bullige Conway-Hall-Sohn drauf ist, bewies er nach Kopenhagen ein weiteres Mal: Mit gnadenloser Wucht walzte er Hail Mary in der neuen deutschen Rekordzeit von 1:09,1 um 1½ Längen nieder. Vivid Wise As, im Vorjahr Vorlauf-Sieger und Endlauf-Zweiter, machte von ganz hinten noch so viel Boden wett, dass es zu Rang drei reichte - auch weil der spät auf freie Bahn gekommene Admiral As 100 Meter vorm Ziel die Segel im Galopp strich.
Das wiederum war Conrad Lugauers Glück. Mit Night Brodde zog das als Nummer 16 gewählte „Folkets Häst“ als Vierter ins Finale.
Vorläufe
1609m Autostart, 600.000 SEK
Wert: 250.000 - 125.000 - 75.000 - 50.000 - 25.000 - 25.000 - 25.000 - 25.000 SEK
1. Vorlauf
1. Don Fanucci Zet 09,1 Örjan Kihlström 40
6j.dklbr. Hengst von Hard Livin a.d. Kissed by the West von Western Terror
Be / Tr: Daniel Redén (Stall Zet); Zü: Brixton Medical AB
Pflegerin: Ellinor Wennebring
2. Click Bait 09,2 Ulf Ohlsson 229
3. Önas Prince 09,2 Per Nordström 31
4. Etonnant 09,5 Anthony Barrier 70
5. Perfetto 09,7 Dagfinn Henriksen 399
6. Cokstile 09,8 Christoffer Eriksson 42
7. Vernissage Grif 09,9 Alessandro Gocciadoro 190
8. Brother Bill 10,4 Jorma Kontio 84
Sieg: 40; Richter: leicht 1 - Hals - 1½ - 2 - ½ - 1 - 2½ Längen; 8 liefen
Zw-Zeiten: 08,6/500m - 09,2/1000m - 08,9/letzte 500m
Video: https://www.youtube.com/watch?v=M_eahb6ptog
2. Vorlauf
1. Mister F Daag 09,1 Robin Bakker 433
7j.br. Hengst von Conway Hall a.d. Miss Love von Love You
Be: Josef Vanduffel, BE; Zü: Jean Huls, NL/DE; Tr: Paul Hagoort
Pflegerin: Kim Hagoort
2. Hail Mary 09,3 Erik Adielsson 24
3. Vivid Wise As 09,4 Matthieu Abrivard 36
4. Night Brodde 09,7 Conrad Lugauer 263
5. Who’s Who 10,0 Åke Svanstedt 41
6. Snowstorm Hanover 10,6 Magnus Djuse 111
Admiral As dis.r. Per Lennartsson 90
Sieg: 433; Richter: sicher 1½ - ½ - 2½ - 2½ - 3 Längen; 7 liefen (NS Extreme / Fesselträgerverletzung)
Zw-Zeiten: 08,6/500m - 09,2/1000m - 09,5/letzte 500m
Video: https://www.youtube.com/watch?v=uSVsWaOn52w