(nn) Vincennes, Sonntag, 12. Dezember 2021. Es war die Überraschung des Traber-Wochenendes. Nach dem Prix de Bretagne, dem ersten von sechs Qualifikationsrennen für den Prix d’Amérique, drohte die Frage nach dem Prix-d’Amérique-Sieger 2022 in Langeweile zu ersticken und nur eine akademische zu sein.
Zu rigoros hatte Superstar Face Time Bourbon an jenem 21. November die 16 Mitstreiter, von denen zwölf erneut die Ärmel gegen ihn hochkrempelten, in die Schranken gewiesen. Alle Ampeln standen in „seinem“ Prix du Bourbonnais auf Grün: Über die geforderten 2.850 Meter hatte er in Vincennes noch nie verloren, die Trainingsleistungen waren so, wie man sie von einem zum Siegen verdammten 35-fachen „Winner“ und unwidersprochen aktuell besten Trabrennpferd der Welt erwarten musste, der Rennverlauf war nicht ungewöhnlich für den „Bourbonen“, und auch sein nicht mehr ganz so neuer Chauffeur traf keine falsche Entscheidung - und dann das.
Was drei Längen vor seinem ersten Verfolger Etonnant kurz nach dem Einbiegen auf die Zielgerade nach dem - je nach Sichtweise - erwarteten, erhofften oder befürchteten lockeren Walkover aussah, wurde plötzlich zu einer immer knapper werdenden Kiste, an dessen Ende der Sieger erstaunlicherweise Etonnant hieß. Gewinnen wollte Raffin auf jeden Fall, der „FTB“ - zwar nicht über Gebühr - forderte, worauf der Ready-Cash-Sohn nur mäßig reagierte. Ähnlich wie im diesjährigen Prix de France, als ein übermütiger Björn Goop viel früher viel weiter weggefahren und schließlich von Délia du Pommereux erwischt worden war, was den Schweden nicht den Kopf, wohl aber weitere Auftritte mit Face Time Bourbon gekostet hatte.
Das Resultat vom „Bretagne“ gedreht bedeutete zugleich, dass sich mit der aus exzellenter Lage zum dritten Platz spurtenden Rebella Matters nur die tapfere Norwegerin, die im Rennen der Rennen wohl mit ihrem Lieblingsfahrer Christophe Martens antreten wird, ein Amérique-Billet; Nachrücker gibt’s in den sechs Qualifikations-Läufen nicht. Zufrieden klappten deren nun schon langjähriger Ausbilder Jean-Michel Bazire und Sylvain Roger das Bourbonnais-Buch zu.
Der 20-fache Sulky d’Or verschrieb dem im Oktober von Holger Ehlert übernommenen Zacon Gio, dessen großes Plus enge Bögen und kurze Distanzen sind, was beides nicht auf Vincennes zutrifft, einen überwiegend defensiven Run, fuhr damit auf Platz vier und hat ein erstes Rätsel halbwegs gelöst: „Ich weiß wirklich nicht, wo Zacon leistungsmäßig steht. Im Training liefert er das ab, was man von einem Traber mit seinem Renommee erwarten kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Heute gilt’s ohne Eisen (Beim Debüt für ihn fuhr ihn Alexandre Abrivard mit vollem Beschlag./Anm.d.Red.), doch ich bin nur verhalten optimistisch.“
Und Délia du Pommereux, beim dritten Start nach der Sommerpause erstmals wieder rundum barfuß und mit David Thomain anstelle von Roger unterwegs, präsentierte sich wie gewohnt extrem zuverlässig und rannte trotz eines bei ihr sehr ungewöhnlichen Startrumplers auf Rang fünf.
Wie der „Bretagne“ wurde auch der „Bourbonnais“ in neuer Bestzeit abgewickelt: Die 1:12,4 Bird Parkers aus dem Jahre 2017 radierte Etonnant mit seinen 1:11,4 radikal aus, was zugleich neuer Distanzrekord fürs Plateau de Gravelle ist. Weil Violetto Jet beim Griff nach den Sternen bzw. Platz drei zur Enttäuschung des höchst optimistischen Franck Nivard und der durch den müde schwankenden Diable de Vauvert weggeräumte Fakir du Lorault sprangen, langte es nach der nachträglichen Disqualifikation des „Teufels“ - vom 23. bis 26. Dezember muss Gabriele Gelormini nun „zu Fuß gehen“ - für Express Jet und Frisbee d’Am fürs Kleingeld.
Der Rennverlauf
Mit viel Schwung begannen ganz außen Etonnant und Face Time Bourbon, doch den weitaus kürzeren Weg nach vorn hatte Frisbee d’Am und sicherte sich vor Express Jet die Spitze. Spur zwei führte Zacon Gio an, Spur drei Chica de Joudes. Als es an der „Ausmündung“ der kleinen Bahn vorbeiging, riss erst Délia du Pommereux, dann Zacon Gio das Zepter an sich, um es kurz darauf an den durch Spur fünf dampfenden Etonnant abzutreten. Bei dem wartete Anthony Barrier auf Face Time Bourbon, für den Raffin sofort einen Gang höher schaltete und für den Anstieg vorn war.
Wieder einmal blieb Chica de Joudes die Todeslage nicht erspart, hinter der sich Diable de Vauvert, Violetto Jet, Rebella Matters und Fakir du Lorault einsortierten. An der Einmündung der „petite piste“ begann Diable de Vauvert mit seiner Attacke, die ihn rasch auf Höhe Etonnant führte, dann jedoch mehr und mehr verpuffte. An Violetto Jets Patzer 150 Meter vorm Ziel war er schuldlos, nicht jedoch an jenem 70 Meter weiter von Fakir du Lorault, weil er dem müde in die „Fahrrinne“ wankte. Da hatte Rebella Matters längst den Turbo gezündet und war drei Längen hinter den beiden Giganten auf pfeilschnellem Weg zu „Bronze“ - vorbei an Zacon Gio, der seine Schattenfrau Délia du Pommereux mit Ach und Krach in Schach hielt.
Man darf gespannt sein, ob Sébastien Guarato den Fahrplan für „FTB“ einhält, der bis zum 30. Januar keinen Start mehr vorsieht. Dafür spricht, dass der Überflieger aus Pausen stets am besten gegangen ist „und zweimal in Folge noch nie verloren hat“, wie der sichtlich konsternierte Übungsleiter betonte, „er ist nicht unbezwingbar – das haben wir zm Glück nur ein paar Mal erfahren. Aber das Tempo hat er immer noch drauf. Er neigt dazu, am Ende manchmal etwas nachzulassen.“ Daran wird der erfahrene 49-jährige inden kommenden Wochen feilen.
Überglücklich war hingegen Anthony Barrier: „Etonnant war heute stark wie nie. Er war besser als sonst zu handhaben und hat sich durch die Kurven enorm verbessert. Ich bin überaus zufrieden mit ihm. Bleibt er in dieser Verfassung, hat er am 30. Januar eine gute Chance, aufs Podium zu kommen.“ Auch hier darf man spekulieren, was Richard Westerink seinem neuen Crack, einem „Ableger“ Timokos, zuzumuten gedenkt. Schließlich hat er auch schon unterm Sattel seine Kapazitäten nachhaltig bewiesen. Übermäßig gestresst hat Etonnant der Rekordlauf nicht, denn wie der Holländer aus Frankreichs Südwesten zwei Stunden später zu berichten wusste, hatte sein Brauner die erste Mahlzeit mit gutem Appetit verputzt.
Prix de Bourbonnais (Gruppe II int., vier- bis zehnj. Hengste und Stuten)
2850 Meter Bänderstart o.Z., 110.000 Euro
1. Etonnant 11,4 Anthony Barrier 343
7j.br. Hengst von Timoko a.d. Migraine von Alligator
Be / Tr: Richard Westerink; Zü: Christian Guy Vigier
2. Face Time Bourbon 11,5 Eric Raffin 11
3. Rebella Matters 11,7 Christophe Martens 270
4. Zacon Gio 11,7 Jean-Michel Bazire 140
5. Délia du Pommereux 11,7g David Thomain 400
6. Express Jet 11,9 Adrien Lamy 1750
7. Frisbee d’Am 12,0 Björn Goop 1520
8. Chica de Joudes 12,1 Alain Laurent 650
9. Feeling Cash 12,2 François Lagadeuc 1810
10. Davidson du Pont 12,3 Nicolas Bazire 650
11. Détroit Castelets 12,3 Franck Ouvrie 1650
12. Etoile de Bruyère 12,6 Charles Dreux 1950
13. Carat Williams 12,5 Matthieu Abrivard 970
14. Bilibili 12,8 Laurent-Claude Abrivard 1890
Diable de Vauvert* 7.d.RL Gabriele Gelormini 340
Fakir du Lorault dis.r. François Lecanu 800
Violetto Jet dis.r. Franck Nivard 310
*wegen Störens von Fakir du Lorault Mitte der Zielgeraden als Siebenter disqualifiziert
Sieg: 343; Richter: sicher Hals - 3 - ½ - Hals - 2½ - (½) - 1 - ½ Längen; 17 liefen
Zw-Zeiten: 11,8/1350m - 11,3/1850m - 11,8/2350m
Wert: 49.500 - 27.500 - 15.400 - 8.800 - 5.500 - 2.200 - 1.100 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2021-12-12/7500/4
Qualifiziert für den Prix d’Amérique 2022:
Face Time Bourbon - Etonnant - Ganay de Banville (Prix de Bretagne)
Rebella Matters (Prix du Bourbonnais)
Den Bock endlich umgestoßen
Seit zweijährig war Havanaise in fast jedem möglichen (Halb-)Klassiker ihrer Generation meist mit François-Pierre Bossuet, dem Sohn von Ténor-de-Baune-Trainer Jean-Baptiste Bossuet, mitgeturnt. Die Ausbeute, was Siege betrifft, war - abgesehen vom Prix de Berlin zu Enghien im Juli 2020 der Kategorie III - gleich Null, doch viele exzellente Platzierungen hatten das Konto der Ricimer-Tochter auf 310.210 Euro wachsen lassen. In der Hand von - mal wieder - Franck Nivard und erst zum dritten Mal rundum unbeschlagen laufend, gelang ihr im Prix Ariste Hémard für vierjährige Stuten im 19. diesbezüglichen Anlauf endlich der heiß ersehnte große Wurf, und dies viel leichter als im Vorfeld gedacht.
Von Beginn an spielte die Ricimer-Tochter bei der vorderen Musik mit, für die erst Sayonara und kurz nach der ersten Zielpassage die frische Gruppe-Siegerin Héliade du Goutier den Ton angaben. Eingangs des Bogens von Joinville erfolgte der Stabwechsel zu Fifty Cent Piece, kurz darauf zu Balsamine Font, die ausgangs jener Biege die Rochade beendete und die aus Schweden angereiste US-Amerikanerin wieder vorbeiließ. Damit blies Havanaise endgültig der äußere Fahrtwind ziemlich heftig um die braune Nase.
Eine kurze Aufmunterung seitens Nivards - schon legte sie einen Gang zu und knöpfte Fifty Cent Piece, die sich in ihrer neuen Heimat den Drottning Silvias Pokal wie die StoSprintern eingeklinkt hatte, die Führung für die Bergauf-Passage wieder ab. Bei gleichmäßiger Pace im 1:12-Bereich wurde Héliade du Goutier vor Hugawa nach außen beordert und schloss zu Havanaise auf - für „Franckie mit der kalten Hand“ absolut kein Grund zur Beunruhigung. Seelenruhig und ohne einen Handschlag schaute er sich an, wie die Prodigious-Tochter ebenso wenig durchzog wie Fifty Cent Piece, die ihre anfängliche Offensive doch ziemlich viel Mumm gekostet hatte.
Kraftvoller wirkte da schon der Angriff Hugawas, die Havanaise aber auch nicht ernsthaft an die Gurte kam. Als sich alle bereits mit einer französischen Dreierwette abgefunden hatten, fand Björn Goop für die geschonte Sayonara eine Lücke, durch die Schwedens Breeders‘-Crown-Zweite wie ein Geschoss auf den Ehrenplatz fegte.
Havanaise war da längst schon im sicheren Hafen und die Aufholjagd nur eine kleine optische Korrektur. „Sie war heute prächtig, ich hatte durchweg ein bombiges Gefühl“, bestätigte Nivard, „sie stand klar über den Anderen. Mit Eisen ist sie gut, ohne eine Klasse besser.“ Total happy war François Bossuet: „Nachdem Hanna des Molles und Hirondelle Sibey nicht angegeben waren, war diese Prüfung unser Meeting-Ziel. Ich kann nur beten, dass sie gesund und munter bleibt und ihre Form hält. Angesichts des heutigen Auftritts ist ein Versuch im Critérium Continental wohl nicht vermessen.“
Prix Ariste Hémard (Gruppe II int., vierj. Stuten )
2700m Bänderstart o.Z., 100.000 Euro
1. Havanaise 12,1 Franck Nivard 31
4j.br. Stute von Ricimer a.d. Version Philo von Philoténor
Be / Zü: Ecurie Ténor; Tr: François-Pierre Bossuet
2. Sayonara 12,2 Björn Goop 150
3. Huwaga 12,3 Jean-Michel Bazire 43
4. Héliade du Goutier 12,5 Gabriele Gelormini 76
5. Berenice Bi 12,6 Mario Minopoli jr 1710
6. Fifty Cent Piece 12,6 Eric Raffin 42
7. Balsamine Font 12,6 Santo Mollo 450
8. Haziella d‘Amour 13,1 Alexandre Abrivard 370
9. Jodie B.R. 13,5 Yoann Lebourgeois 1430
10. Hunter Valley 13,9 Adrien Lamy 640
11. Babirussa Jet 14,6 David Thomain 1440
12. Fascination 16,5 Julien Dubois 250
Hirondelle du Rib dis.r. Jean-Loïc Claude Dersoir 1310
Haiti Island agh. Matthieu Abrivard 130
Sieg: 31; Richter: leicht 1¼ - 2¼ - 2 - 1½ - ½ - Hals; 14 liefen
Zw-Zeiten: 12,5/1200m - 12,2/1700m - 12,5/2200m
Wert: 36.000 - 20.000 - 11.200 - 6.400 - 4.000 - 1.600 -800 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2021-12-12/7500/7
Des Sulky d‘Ors Maßarbeit
Viel Pech entwickelte der deutsche Breeders-Crown-Zweite Jimmy Ferro BR bei seinem Frankreich-Debüt. Im Prix de Mansle für dreijährige Hengste und Wallache, die keine 100.000 Euro verdient hatten, war er als Neunter in die erste Reihe hinterm Startauto gerutscht und hatte dort die exzellente Nummer „3“ zugelost bekommen. Zügiger als der Love-You-Nachkömmling kam nur Invictus Madiba in die Hufe, der ausgangs der Joinviller Kurve bei enormem Tempo Iron Meslois vorbeiließ, während Inexess Bleu weiter die zweite Gefechtslinie anführte und Caio Titus Bond auch bergauf Spur drei beackerte.
Das überforderte den „Flüsterfavoriten“, mit dem Nivard in der Schlusskurve ein Einsehen hatte und ausstieg. Wenig später kam Iron Meslois durch Inexess Bleu, If I Tell You und den von ganz hinten sich weit außen prachtvoll ins Zeug legenden Louis E Lobell mächtig unter Druck, während für Jimmy Ferro BR das Gefängnis ausbruchsicher vernagelt war. Im Biegen und Brechen um den Sieg wischte Eric Raffin mit Hollands Derby-Zweitem mit dem letzten Schritt um Zentimeter an Inexess Bleu vorbei, und auch If I Tell You war nur eine halbe Länge später an der imaginären Linie. Unglücksrabe Jimmy Ferro BR blieben lediglich die kleinste Prämie von 700 Euro und eine neue Bestmarke.
Für Louis E Lobell war’s beim zehnten Engagement der dritte Volltreffer - und der dritte im Ausland: Bisher hatte er nur zweimal im belgischen Mons gewonnen. „Ein sehr interessanter Bursche, den ich schon mal in Vincennes gearbeitet hatte. Heute war er exzellent zu manövrieren. Er hat den nötigen Rennkopf, pullt unterwegs nicht und sollte in Zukunft auch mit längeren Wegen überhaupt kein Problem haben“, bescheinigte Raffin dem Dunkelbraunen.
Prix de Mansle (Gruppe III int., dreij. Hengste & Wallache, keine 100.000 Euro)
2100 Meter Autostart, 70.000 Euro
1. Louis E Lobell 12,0 Eric Raffin 90
3j.dklbr. Hengst von Ready Cash a.d. Derby Lobell von Love You
Be: Dragon Trotters BV, NL; Zü: van Bellen Beheer BV, NL; Tr: Alain Rogier
2. Inexess Bleu 12,0 Alexandre Abrivard 170
3. If I Tell You 12,0 Franck Ouvrie 240
4. Invictus Madiba 12,1 Adrien Lamy 190
5. Iron Meslois 12,1 Pierre Belloche 160
6. Condor Bar 12,2 Mario Minopoli jr 190
7. Jimmy Ferro BR 12,3 Michael Nimczyk 270
8. Cantab As 12,3 Christophe Martens 810
9. Cocis MP 12,4 Gabriele Gelormini 30
10. Caio Titus Bond 22,3 Franck Nivard 35
Idéal San Leandro dis.r. Anthony Barrier 70
Sieg: 90; Richter: Kampf k.Kopf - ½ - 1 - Kopf - ½ - 1 - ½ - Hals; 11 liefen
Zw-Zeiten: 07,2/600m - 09,9/1100m - 11,3/1600m
Wert: 31.500 - 17.500 - 9.800 - 5.600 - 3.500 - 1.400 - 700 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2021-12-12/7500/9