Vincennes, Sonntag, 26. Januar 2025. Völlig richtig gelegen hatte Thierry Duvaldestin mit seiner Analyse nach dem Sieg Idao de Tillards im Prix de Bourgogne am 29. Dezember, dass sein Crack zur 104. Auflage des Prix d’Amérique sicher nicht ganz in der Form des Vorjahrs sein werde, aber technisch sehr viel besser durch den Schlussbogen, seine kleine Achillesferse, komme.
„Zum Ausgleich haben wir immer noch die Option, ihn vorne erstmals barfuß laufen zu lassen, nachdem ich das Gewicht seit dem Herbst durch ‚Plaqué-Beschlag‘ weiter reduziert habe.“ Ganz sicher war sich der 53-jährige allerdings nicht, ließ ihn rundum barfuß laufen, griff jedoch für die Balance in die Mottenkiste des Schleifzeugs. Hervor holte er Schrotringe, ein Utensil aus alter Väter Zeiten, das der Trainernachwuchs vermutlich nur aus Erzählungen der Lehrherrn kennt.
Ob diese Idee des genialen Tüftlers, der einst den von Philippe Allaire kaum noch trainierbaren Ready Cash zur Räson und 2011 wie 2012 zu Amérique-Weihen geführt hat, tatsächlich der goldene Schachzug Richtung Titelverteidigung war, ist ganz und gar nicht sicher. Auf alle Fälle dürfte es jedoch seine Nerven und die des Umfelds beruhigt haben, alles Menschenmögliche bedacht zu haben, es dem Séverino-Sohn so leicht und angenehm wie möglich zu machen.
Schließlich war nach für einen Crack mit seinen Ressourcen ernüchternden Auftritten über Sommer und speziell im ersten Anlauf zur Amérique-Qualifikation im Prix du Bourbonnais das „présent“ an diesem Sonntag sogar gänzlich in Frage gestellt. Über des Rätsels Lösung wurde hinreichend berichtet: Eine unterschwellige, spät entdeckte Leptospiren-Infektion hatte ihn geschwächt. Das Gute daran: Sie war mit Antibiotika effektiv zu therapieren. Das Rätselraten: Niemand wusste, ob und wie der Trainingsstopp entscheidende Kapazitäten kosten würde.
Die Antwort gab’s um kurz vor 16.30 Uhr „aufm Platz“, und sie fiel klipp und klar zugunsten des brauen Bombers aus, der sich knapp vor Go On Boy, dem Flüsterfavoriten vieler Experten, mit 33 zu 34:10 zum Darling der Wetter durchgeboxt hatte. Nicht so dominant wie im Vorjahr, als er sich mit zwei Längen durchgesetzt hatte, doch sehr sicher heftete sich der Siebenjährige, den „Duvaldestin père“ auf einer Jährlingsauktion in Caen für 27.000 Euro erwählt hatte, den zweiten Titel des Million-Rennens an seine Fahne.
Nach 49 Versuchen stehen 33 erste Plätze und 2.898.660 Euro im Fahrtenbuch. Er ist nach Varenne (2001 & 2002), Offshore Dream (2007 & 2008), Ready Cash (2011 & 2012) und Face Time Bourbon (2020 & 2021), der zugleich mit 1:10,8 Rennrekordhalter bleibt, der fünfte Crack dieses Jahrtausends, dem das Double gelungen ist. Die Freude über den neuerlichen Triumph ist noch nicht verraucht, da werden die Auguren nach einem dritten Triumph schielen, der bislang nur Uranie, Roquépine, Bellino II und letztmals Ourasi gelang, der als Einziger 1990 die Massen sogar ein viertes Mal in Verzückung setzte.
Es war klipp und klar ein Sieg des besten Pferdes, dem der 25-jährige Clément Duvaldestin mit früher, jedoch gebremster Offensive überaus gerecht wurde. Er war durchweg in dritter Spur unterwegs, und als seine Lokomotive Justin Bold zur Hälfte des Weges endlich neben Hussard du Landret auf dem Todessitz gelandet war, musste er die zweite Halbzeit bergauf mit der Nase im Fahrtwind absolvieren.
Das genaue Gegenteil steckte in San Moteur, der der so hoffnungsvollen Schweden-Fraktion bereits am Start eine gallebittere Pille eintrichterte. Im Heat und bei der Parade vor der Tribüne spulte sich der am Mittwoch in Grosbois eingetroffene braune Wonneproppen zum wahren Nervenbündel auf, was sich beim ersten, abgebrochenen Startversuch, bei dem er mit dem Sulky von Go On Boy kollidierte, potenzierte.
Björn Goop ließ ihn beim gültigen „Ab“ wohlweislich hinter den Anderen eindrehen, um ihn zu bändigen. Der Panne-de-Moteur-Sohn explodierte trotzdem auf der Stelle und nutzte das Rennen bei dem galaktischen Rückstand zu einer Trainingseinheit vor 30.000 Fans.
Reaktionen
„Was für ein außergewöhnlicher Typ! Um es klipp und klar zu sagen: Er war heute mit Abstand der Beste, schon wegen des überaus anspruchsvollen Verlaufs“, kommentierte Clément Duvaldestin kurz und bündig und holte weiter aus: „Die Schrotringe waren nur eine Idee leichter als der Beschlag, den er zuletzt drauf hatte. Ich hatte den Eindruck, dass er viel flüssiger als sonst in die Hufe kam. Im Vergleich zum Vorjahr gab’s nur einen Fehlstart, das ist wohl allen zugutegekommen. Ich wusste, dass Go On Boy zwei Positionen hinter uns lag. Ich habe bis zum letzten Moment mit der Tempoverschärfung gewartet, und er hat prächtig mitgespielt.“
Vater Thierry „war überzeugt, dass er ohne Beschlag gut zurecht kommen würde. Seine Schrotringe wiegen 180 Gramm. Nach dem ‚Bourbonnais‘ hatte ich erhebliche Zweifel, ob wir ihn halbwegs in Form bringen würden. Doch wie er sich nach alle den Kalamitäten im ‚Bourgoge’ verkauft hat, hat mich enorm beruhigt.“
Romain Derieux: „Ich kann mich über den Rennverlauf nicht beschweren, habe jedoch 200 Meter vorm Ziel gemerkt, dass Idao nicht zu packen ist. Da gibt‘s kein Wenn und Aber - man muss solch eine Niederlage akzeptieren, das ist im Sport das Normalste der Welt. Go On Boy war trotzdem eine Wucht und hat sich im Vergleich zum Vorjahr um einen Rang verbessert.“
Angefressen war Björn Goop: „San Moteur hat völlig den Kopf verloren. Das ging schon im Heat los, als er längst nicht so entspannt war wie sonst - vielleicht auch wegen des lautstarken Publikums. Dann kam die Parade mit Decken und allem Drum und Dran, was ihn zusätzlich aufheizte. Er bekam einen Tunnelblick, war nicht zu beruhigen und so, wie man ihn nicht haben will. Die Kollision mit Go On Boy beim ersten Startversuch, nach der er im gestreckten Galopp losgepfiffen ist, war das Tüpfelchen auf dem i. Danach war er völlig durch den Wind, unkontrollierbar. Er ist ein Klassepferd, doch das war heute überhaupt nicht sein Tag.“
Mit dem Rennverlauf haderte Daniel Redén: „Im dritten Paar innen war Don Fanucci Zet genau dort, wo wir ihn haben wollten. Doch mit Hooker Berry kann etwas nicht gestimmt haben. Er war viel zu früh geschlagen, und wir saßen dahinter in der Falle. Wäre er früher freigekommen, hätte er vermutlich eine schöne Stange Geld ergattert - auch so schrammte er ja knapp genug an einer Prämie vorbei. Paul Ploquin war in Anbetracht dieser Umstände recht zufrieden. Nun geht’s in sein Zielrennen, den Prix de France, dessen 2.100 Meter ihm ohnehin besser liegen.“
Der Rennverlauf
Den größten Elan legten Hooker Berry, Don Fanucci Zet und Hussard de Landret an den Tag, die allesamt weit außen Schwung holten. Kaum hatte sich der Schwede vor Emeraude de Bais die Spitze gesichert, als Hooker Berry angestiefelt kam und nach 700 Metern den Platz an der Sonne okkupierte. Kurz vorm Bogen von Joinville trat er ihn an Hussard du Landret ab, mit dem Yoann Lebourgeois auf gebremste Offensive setzte.
Damit bekam Keep Going, der Sieger des Critérium Continental und jüngste der 18 Aspiranten, den Kopfwind der zweiten Riege vor Idéal Ligneries, Josh Power, It’s a Dollarmaker, Inmarosa und Ampia Mede SM ab. Dimitri Ferm fiel dort im Galopp aus. Justin Bold war der Schlepper in dritter Gefechtslinie für Idao de Tillard, Just Love You, Go On Boy, Iroise de la Noé und Fakir de Mahey, der abgesehen vom um Lichtjahre abgeschlagenen San Moteur die rote Laterne trug.
Ab dem Beginn der Steigung, wo Justin Bold von Keep Going den Todessitz übernahm, musste sich Idao de Tillard in dritter Spur sein Match selbst gestalten, und das tat er mit Bravour. Am Gipfel löste Keep Going Justin Bold als Leader der zweiten Reihe wieder ab, war aber wenig später mit seinem Latein schon am Ende und schlüpfte hinter den unermüdlich strampelnden Hussard du Landret, weil Hooker Berry dort schon in schwere Nöte geriet.
Ab der Einmündung der kleinen Bahn ging Clément Duvaldestin in die Vollen - just in jenem Moment, als zwei Positionen hinter ihm Romain Derieux seinen Go On Boy zur Attacke herausnahm und Iroise de la Noé sowie Fakir de Mahey hinter sich herzog. Er war gerade in Schlagweite Idao de Tillards gekommen, als Duvladestin den letzten Trumpf ausspielte. Hussard du Landret war genauso rasch überlaufen, wie Go On Boys Generalangriff an seine Grenze stieß.
Cleverer war Alex Abrivard verfahren, der die Deckung des Siegers bis zur letzten Sekunde konsequent nutzte und dafür mit dem Ehrenplatz vor Go On Boy belohnt wurde. Viel Pech hatte die in vierter Einlaufspur aufkreuzende Iroise de la Noé, die mit diesem scharfen Run bewies, dass sie auch aus der Deckung eine Macht sein kann. Mit Platz vier vor Augen sprang sie 180 Meter vorm Ziel und machte den Weg frei für Josh Power. der sich mit seinem bewährten Endspurt bis auf eine halbe Länge an seinen drei Jahre älteren Bruder Go On Boy heran raufte. Vier Längen dahinter wurde Hussard du Landret für seine Tempodienste mit dem reichen fünften Geld entlohnt.
Idéal Ligneries unerwarteter Sechster
Weitere 2½ Längen zurück biss, kratzte und spuckte ein Quintett, das nicht mal eine Länge auseinanderlag, um die Prämien sechs und sieben. Was beim heißen Fight um Sieg und Podestplätze auf den ersten Blick vermutlich allenfalls Roger Wittmann und seine Entourage mitbekommen haben dürften, entpuppte sich beim zweiten und gar dritten Hinschauen - jenem aufs Zielfoto - als nächster Glücksmoment für Deutschland.
Nach den Siegen von Jimmy Ferro BR am Donnerstag und Sarah Kube beim samstäglichen Amateurvergleich konnte sich die schwarz-rot-goldene Equipe über mangelnde „Massel und Broche“ erneut nicht beklagen: Streng innen wurde Wittmanns Idéal Ligneries, obwohl auf den letzten 700 Metern durch einen Platten gehandicapt, um Haaresbreite als Sechster (20.000 Euro) hochgezogen vor seinem Nebenmann Justin Bold, der ganz außen heranfliegenden Inmarosa und dem „mittigen“ It’s a Dollarmaker sowie dem hinter diesem Quartett verhungernden Don Fanucci Zet - und das im zweitschnellsten „Amérique“ aller Zeiten.
104. Prix d’Amérique (Gruppe I int., vier- bis elfj. Hengste und Stuten; 2. Lauf zum UET Elite Circuit)
2700m Bänderstart ohne Zulage, 1.000.000 Euro
1. Idao de Tillard 11,1 Clément Duvaldestin 33
7j.br. Hengst von Séverino a.d. América de Tillard von First de Retz
Be: Cyril Sevestre; Zü: Françoise Chaunion; Tr: Thierry Duvaldestin
Pflegerin: Susanne Ohme
2. Just Love You 11,1 Alexandre Abrivard 380
3. Go On Boy 11,2 Romain Derieux 34
4. Josh Power 11,3 Eric Raffin 99
5. Hussard du Landret 11,5 Yoann Lebourgeois 170
6. Idéal Ligneries 11,7 Benjamin Rochard 1070
7. Justin Bold 11,7 Pierre-Yves Verva 1170
8. Inmarosa 11,7 Léo Abrivard 1380
9. It’s a Dollarmaker 11,7 Matthieu Abrivard 310
10. Don Fanucci Zet 11,8 Paul-Philippe Ploquin 550
11. Emeraude de Bais 12,0 Franck Nivard 830
12. Keep Going 12,1 Mathieu Mottier 280
13. Fakir de Mahey 12,1 David Békaert 2170
14. Ampia Mede SM 12,2 Vincenzo d’Alessandro jr 1520
15. Hooker Berry 12,6 Nicolas Bazire 190
16. San Moteur 18,2g Björn Goop 57
Dimitri Ferm dis.r. Gabriele Gelormini 2030
Iroise de la Noé dis.r. Thomas Levesque 210
Sieg: 33; Richter: sicher 1 - 1¼ - ½ - 4 - 2½ - k.Kopf - k.Kopf - Hals - Hals - 3 - 1 - 1 - 1¼ - 4½ Längen; 18 liefen
Zw-Zeiten: 12,0/1200m - 10,7/1700m - 11,5/2200m
Wert: 450.000 - 250.000 - 140.000 - 80.000 - 50.000 - 20.000 - 10.000 Euro
Video: https://www.letrot.com/courses/2025-01-26/7500/6
Rennleitung: A. Abrivard 80 Euro (Peitschengebrauch), C. Duvaldestin 300 Euro + 4 Tage Fahrverbot (Peitschengebrauch, 2. Wiederholungsfall), M. Mottier 2 Tage Fahrverbot (Behinderung von Justin Bold)
Ein Blick auf den Umsatz: Durch den aus allen Teilen der Welt gespeisten PMU-Toto flossen allein im Prix d’Amérique 16.291.865,30 Euro (2024: 17.544.983,40; 2023: 18.369.134,65; 2022: 18.608.767,85 Euro), womit sich der Abwärtstrend fast schon dramatisch fortsetzte. 8.238.310,49 Euro davon entfielen auf die mit einem Drei-Millionen-Euro-Jackpot gespickte Quinté-Wette (2024: 8.473.501,56; 2023 9.358.024,71 Euro).